Staniolpapier hinter Gittern

Von Sebastian Schwappacher

Eine Sammelleidenschaft kann skurrile Züge und ungeahnte Ausmaße annehmen. Wirklich zu Schätzen wissen Großsammlungen oft nur Gleichgesinnte. Etwas anderes ist es, wenn die Objekte der Begierde nicht einfach nur aufbewahrt und katalogisiert, sondern in einen neuen Kontext überführt werden. Die Collagen von Manfred Roth greifen diesen Ansatz auf und bestehen aus gesammelter weihnachtlicher Staniolfolie und Schokoladenpapieren.

Palettenweise aufgefahrenen Schokoweihnachtsmännern kann man in Supermärkten bald nicht mehr entkommen. Mit der im Kulturbahnhof (Kuba) eröffneten Ausstellung „Saisonware“ ist Manfred Roth dem Weihnachtsgeschäft einen Schritt voraus. Allerdings kommen seine Werke gänzlich ohne den süßen Inhalt aus.

Den Theatermacher und Hochschuldozenten interessiert die Verpackung. In eigens angefertigten Rahmen und Schaukästen gibt er ihr eine andere Bedeutung und ordnet sie neu ein. Als Flaschenpost oder Glücksspielautomat, hinter Gittern, an einer Wäscheleine oder aufbereitet wie ein Gemälde eines mittelalterlichen Kirchenaltars kommt die Stanniolfolie daher. Andere Exponate sind Ausstellungsstücken eines Naturkundemuseums nachempfunden. Wo Schmetterlinge oder Insekten auf Nadeln zu sehen sind, wird hier eine Auswahl an Schokoladenpapieren vorgestellt.

Entstanden ist die Werkschau über die Sommermonate speziell für den Kuba. Dabei konnte Manfred Roth aus dem vollem schöpfen und letztlich nur eine kleine Auswahl präsentieren. Denn der Ruheständler ist seit frühster Kindheit ein Sammler von Alltäglichem und Profanem.

Seine Sammlungen – zu denen Tempos, Kunstdruckkalender, Theaterprogrammhefte und vieles mehr gehört – baut Manfred Roth nicht professionell auf. In Clubs und Vereinen will er sich nicht mit Gleichgesinnten zusammenschließen und so an neues Material kommen. Es sind die zufälligen Entdeckungen am Kaffeetisch und Supermarkt, die den Reiz ausmachen. Und natürlich bekommt er mittlerweile auch von Freunden und Bekannten etwas mitgebracht, wenn die im Urlaub eine interessante Schokoladenverpackung gesehen haben.

„Mein Material drängt aus den Schubladen an die Öffentlichkeit“, sagte Manfred Roth schmunzelnd mit Blick auf die Vielzahl der Sammelobjekte. Seine erste Ausstellung war vor wenigen Monaten in der Frankfurter Galerie „Eulengasse“ zu sehen und zeigte eine weitere Leidenschaft: Aludeckel. Die Verschlüsse von Joghurt und Frischkäse haben es Manfred Roth seit 25 Jahren angetan und mittlerweile ist er auf rund 15 000 Exemplare gekommen. Wie bei der Stanniolfolie ist es auch bei Aludeckeln ein buntes wie billiges Massenprodukt, dass Ordnerweise aufbewahrt wird.

Die Ausstellungsbesucher erschlägt Manfred Roth aber nicht mit reiner Masse. Kunst- und Kulturgeschichte sowie das Alltägliche liefern ihm Inspiration zur Auf- und Umarbeitung. Augenzwinkernd, im Wissen um seine seltsame Angewohnheit, bewahrt er die Verpackung vor der Mülltonne und gibt ihr ein neues Leben. Im Kulturbahnhof hängt die Ausstellung „Saisonware“ bis zum Jahresende und kann so auch noch zur Weihnachtszeit besucht werden.

Mörfelden-Walldorf 14.09.2016